Neulich stand ich in meiner Heimat-Stadt für ein schnelles Erfrischungsgetränk am Tresen einer Bar.
,,Coca-Cola to go“ und wieder zurück an die Arbeit.
So zumindest war meine Absicht, als ich plötzlich eine leichte Berührung an meinem Oberarm verspürte. Gleichzeitig drang ein Mitleid erregendes Geräusch an meine Ohren, das mit qualvollem Röcheln wohl nur unzureichend beschrieben werden konnte. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in das Gesicht einer mir zunächst unbekannt erscheinenden Person, welche mich traurig lächelnd grüßte, während sie Halt an meiner durchtrainierten Schulter suchte. Der Mann machte einen äußerst gebrochenen Eindruck auf mich und wurde zudem von einer tiefgreifenden Aura von Einsamkeit und Verzweiflung umweht.
,,Personal, ich brauche Personal“, sprach das niedergeschlagene Wesen mit kehliger Stimme. ,,Hilf mir bitte…“.
Als mir der Mensch taumelnd in die Arme fiel und ich ihn angesichts dieses Schwächeanfalls wieder aufzurichten versuchte erkannte ich ihn als einen Hoteliers-Berufskollegen wieder, den ich schon länger nicht mehr gesehen hatte und dessen Äußeres in dieser Zeit offenbar schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Vor allem aber schien er mir seelisch nicht ganz auf der Höhe zu sein.
Bestürzt erkundigte ich mich nach dem Grund seines unglücklichen Zustandes und dankbar für mein Mitleid klagte er mir sein tiefes Leid. Seine Misere, so der Kollege zeige den Zustand einer von Corona stark beeinflussten Gesellschaft auf, in der der Drang zur schnellen Vergnügung mit gleichzeitigem Verlust der Arbeitsmoral einhergehe. Diese Tatsache habe -wie ich sicher wissen würde -die gesamte Berufskategorie der Gastronomen , besonders aber sein Unternehmen in arge Schieflage gebracht .
,,Ich arbeite Tag und Nacht. Ich finde kein Personal mehr. Täglich kündigt jemand. Keine Loyalität mehr in der Branche. Wenn sich alle ein Sabbatical-Jahr nehmen und sich zur Selbstfindung auf Weltreise begeben, wer bleibt dann noch bei mir?“, klagte der Hotelier, während seine Träne-nassen Augen irr in der Gegend herumblickten, wahrscheinlich auf der Suche nach frei herumlaufenden beschäftigungslosen Kellnern, Zimmermädchen und Köchen.
Selbstverständlich ein hoffnungsloses Unterfangen.
Während er seinen gefühlt zehnten Espresso in sich hineinkippte erzählte er mir von seinem alkoholisierten Hausmeister, seinem seit Ausbruch der Pandemie zur Anarchie neigenden Oberkellner und den ständig streitenden Damen vom hausinternen Putz-Trupp. Als ob damit nicht genug wäre entwickle sich auch seine Gattin mit ihrem immer dünner werdenden Nervenkostüm mehr und mehr zur streitlustigen Xantippe.
Und obendrein würden ihm auch noch seine Nachbarn Mitarbeiter abwerben.
Das ganze Programm halt vom Mängelwesen Mensch.
Dem Mann gehörte mein ganzes Mitgefühl. Trotzdem empfand ich seine umfangreichen Ausführungen irgendwann für das Gesamtverständnis als doch sehr entbehrlich und außerdem auch ein Stück weit ermüdend.
Zum Glück klingelte in dem Moment, als ich gerade unter Vortäuschung falscher Tatsachen das Weite suchen wollte, das Telefon meines Berufs-Kollegen.
Die Nachricht die er über Funk zugetragen bekam war augenscheinlich dazu angetan die Stimmung schlagartig zu verändern.
,,Vorstellungsgespräch? Ja, klar… Koch, natürlich… Gehalt? Selbstverständlich, wie Sie wünschen..“
Ein kurzes Winken, und der Mann stürmte schon in Richtung Auto, um in den Südtiroler Vormittag zu entschwinden.
Ruckzuck, ganz schnell und plötzlich vom schlimmsten Übel genesen.
Zurück blieb ich, gedankenverloren, emotional aufgewühlt und zugegebenermaßen auch etwas beunruhigt.
Als ich kurz darauf in mein Hotel zurückkehrte war zählte ich – beeinflusst vom soeben Erlebten -schnell meine Mitarbeiter durch.
Es waren noch alle da.
Gott sei Dank…