Gestern habe ich sie gesehen. Die Helden der Straße. Als ich gemeinsam mit der besten Ehefrau von allen gemütlich mit meinem Motorrad über das Stilfser-Joch, den mit 2757 höchsten Gebirgspass Italiens tuckerte. Einen nach den anderen habe ich überholt und mich bei über 30 Grad Hitze gewundert welchen Qualen sich Menschen auszusetzen bereit sind. Die Rede ist von den Hunderten von Fahrradfahrern auf ihren Draht-Eseln, die eine Steigung von 12% auf sich nehmen, um sich selbst und unter Umständen auch anderen zu beweisen, dass sie richtig ernstzunehmende Sportler sind.
Was ihnen übrigens vollkommen gelingt!
Pustend, schwitzend, den Blick geradeaus gerichtet, das steile Ziel vor Augen.…
Wirklich, wirklich imponierend…
Ein bisschen schämte ich mich schon, dass ich selbst mit so geringem Muskel-Aufwand unterwegs war, während sich die Asphalt-Heroes vor meinen erstaunten Augen zu Protagonisten ihres eigenen sportlichen Daseins emporschwangen.
Mein schlechtes Gewissen hielt mich aber nicht davon ab auf dem Joch anzuhalten, mich vor eine der schrecklichen Raststätten zu setzten, die sich dort touristisch aneinanderreihen und zur Regulierung meines Zuckerhaushaltes eine Cola zu schlürfen. Grund meines kurzen Breaks war neben dem Durst einerseits das Interesse an den großartigen Radfahrern selbst, andererseits natürlich an ihren ultramodernen Vehikeln und nicht zuletzt auch an ihrem mehr oder weniger modischen Erscheinungsbild.
Gespannt beobachtete ich wie die an diesem Tag ausschließlich männlichen Athleten den Berg mit freigelegtem Oberkörper erklommen, das atmungsaktive T-Shirt bis zum Bauchnabel geöffnet, während sich Bäche von Schweiß über ihre Brustkörbe ergossen.
Das letzte Mal als ich so enganliegende und tiefgeschnittene (wenn auch nicht in unbedingt aus Goretex -Material bestehende…) Kleidung am Körper von Menschen gesehen hatte, die ihre Haut so bereitwillig der Öffentlichkeit zeigten, war bei der diesjährigen Fernseh-Übertragung der Oscar-Verleihung aus Los Angeles gewesen. Da waren die Hauptdarsteller allerdings in Valentino und Dolce-Gabbana gehüllt, kamen wahrscheinlich frisch von der Schönheits-OP und mussten trotz des gleißenden Rampenlichts dem sie ausgesetzt waren auch nicht so stark schwitzen.
Ok, ich weiß, der Vergleich hinkt, aber irgendwie erschienen mir die in Hollywood glücklicher.
Was Schauspieler und Radfahrer offenbar gemeinsam haben scheint der regelmäßige Besuch beim Depilier-Experten im Kosmetik-Studio zu sein. Extrem glatte Beine, unglaublich blanke Brust, vielfach komplett enthaarter Schädel. Letzteres mag bei den Sportlern damit zusammenhängen, dass die Haare möglicherweise rasiert wurden um den Kopf für das Wesentliche, also das Fahrrad-Fahren freizubekommen.
Oder aber mit der Tatsache, dass sich der Großteil der Menschen die ich gestern bei der Ausübung ihrer Lieblings-Freizeitbeschäftigung beobachten durfte erstaunlicherweise in fortgeschrittenem Alter befand und schon aus diesem Grund zur Kahlköpfigkeit neigte.
Irgendwie taten mir die Radler leid. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielten einige von ihnen genau vor der Bar an in der ich es mir -gemeinsam mit meiner Gattin- gerade relativ gemütlich gemacht hatte.
Wie ich bereits erwähnte herrschte am Joch ausgelassene touristische Volksfest-Stimmung.
Hot-Dog und Bier inclusive.
Als ich aber gerade den ersten Hochleistungs-Sportler aus Mitleid vor dessen radfahrerischem Dasein ansprach, um ihn zu einem Würstchen mit Senf und Majo einzuladen grätschte Frau Gartner dazwischen und ermahnte mich eindringlich doch gefälligst Respekt und Anstand zu bewahren.
Einer Aufforderung, der ich selbstverständlich gerne nachkam.
Eine Frage die ich mir beim Anblick des unglaublich schmalen Rennrad-Sattels allerdings nicht verkneifen konnte war die nach den eventuell gefährlichen Belastungen des männlichen Unterleibs der Pedal-Ritter. Besonders die männliche Vorsteher-Drüse (im Fachjargon Prostata genannt) müsste unter den Radfahr-Anstrengungen doch ganz gewaltig leiden.
Bevor das Gespräch mit dem Leistungssportler diesbezüglich allerdings intensiviert werden und wir unsere PSA-Werte vergleichen konnte mahnten dessen Freunde -peinlich berührt- zum Aufbruch.
Und ließen mich uninformiert und besorgt über dessen Gesundheits-Zustand zurück.
Ich glaube extremes Fahrradfahren ist irgendwie nichts für mich…