Neue Zeiten für den Blues. Nick Cave in Concert.

1,2,3…UND AB GEHT DER FILM:

Das gelb-rote Licht geht an im ehrwürdigen Alexander Palace zu London.
Inmitten des riesigen, fast vollkommen leeren Saales steht ein Flügel der sich im glänzend braunen Parkettboden des Musik-Tempels erwartungsvoll spiegelt. Eine mit silbernen Ringen geschmückte Hand streicht über die Tasten des Instruments und zaubert erste wärmende Klänge in den Raum der vor kurzem noch voll war mit der bedrohlicher Corona Stille. Als der Sänger seine Stimme zum verzweifelt-schönen ,,Euphoria“ erhebt findet zugleich auch das Sonnenlicht seinen Weg in die staubige Luft des Konzertsaales.

Der Musiker im schwarzen eleganten Anzug ist Nick Cave, der Fürst der musikalischen Finsternis. Der australische Poet, Schriftsteller und Bandleader, die Ikone des Underground-Blues tritt alleine auf an diesem Spätsommer-Nachmittag und liefert mit seinen Klängen aus dem Konzert-Album ,,Idiot-Prayer“ den passenden, traurigen Soundtrack zur bedrückenden Pandemie-Zeit.

Während der Künstler ohne Publikum mit geschlossenen Augen die ersten Takte des traurig bedrückenden ,,Galleon Ship-Songs“ anstimmt umfasst ihn das violette Licht in das der geschichtsträchtige Raum nunmehr getaucht ist. Der Kameramann des Video-Senders YouTube schleicht vorsichtig um den Flügel und fängt mit seiner Box den Musiker  in dessen intensivsten Momenten ein.  Nick Cave scheint in diesem Augenblick der Zeit entrückt und steuert seine ganz persönliche musikalische Messe dem Höhepunkt entgegen.

Das Licht geht aus, das Konzert ist zu Ende und die Aufnahme des Video-Kanals YouTube bleibt stehen und geht zurück auf PLAY…

4,5,6…FILM AUS

Tja Leute, habe euch jetzt ein bisschen daran teilhaben lassen wie ich  kürzlich eingetaucht bin in die neue Streaming-Realität. Die von mir in Worte gerahmten Bilder stammen aus dem vergangenen Jahr und dienen somit quasi als Willkommensgruß für die musikalische Neuzeit.

Einer Zeit in der Streaming an die Stelle von sozialen Kontakten gerückt ist. Wenn man schon zu Hause bleiben muss dann wird wenigstens geyoutubt was das Zeug hält. Natürlich wird eine Konzertaufnahme einen wirklichen Gig selten ersetzen können aber man sammelt zumindest  Erfahrungen, gewinnt neue Eindrücke, um nicht komplett in der kulturellen Einöde zu  verdursten.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern eben ungewöhnliche Auftritte.

Das Konzert im Alexandra Palace ist einer davon.

Minimalistisch, emotional, aufregend..

Und es ist fürwahr nicht alles schlecht am virtuellen Blues-Act von Nick Cave . Auch wenn man Kultur im Netz sonst wenig abgewinnen kann. Das Reduzierte der Düster-Songs auf Piano und Stimme schaffen schlussendlich trotz der räumlichen Distanz doch eine zutiefst empfindsame Atmosphäre.

Die Hauptrollen neben dem Musiker nehmen nunmehr  Regisseur und Kameramann ein  Deren beeindruckende Bilder vom andächtig seiner Leidenschaft frönenden ehemaligen Punk sorgen für eine gefühlsbestimmte Nähe zum Künstler, die in dieser Form sogar beim Live-Konzert schwer erreicht werden kann.

Der Reihe nach spielt der australische Rockmusiker vorzugsweise aus seinem  2019er- Album ,,Ghosteen“, aber auch Klassiker wie ,,The Ship Song“, ,,Papa won’t  leave you, Henry“ ,, The mercy seat“ und ,,Into my arms“, zudem Lieder die er in der Vergangenheit mit seiner Zweit-Band Grinderman aufgenommen hat.

Wunderbar…

In einer Zeit der unfreiwilligen kulturellen Entsagung  bildet YouTube also die Brücke über den ausgetrockneten Fluss des musikalischen Erlebnisses und sorgt somit aktuell für die Alternative zum althergebrachten Konzert-Besuch.

Und dementsprechend einfach mal für die Gänsehaut dahoam…

P.S. Das Konzert im Alexander Palace fand im Juni 2020 statt und wurde am 23. Juli gestreamt. Einzelne grandiose Clips sind jetzt auf YouTube zu sehen. Die CD ,,Idiot Prayer“ ist im Handel erhältlich und kann komplett auf Spotify angehört werden.

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