Es gibt eine gute Nachricht zu vermelden: Ich lebe noch! Keine Selbstverständlichkeit in Anbetracht der gefährlichen Menschen, die sich da draußen auf unseren Straßen herumtreiben und unser aller Leben bedrohen. Die Rede ist von den vielen Rentnern die sich jetzt, wo die Temperaturen wieder in die Höhe gehen, frühlingsfroh ins Freie wagen, um ihre wintersteifen Knochen aufzuwärmen und ihre Körper wieder geschmeidiger werden zu lassen, indem sie sich altersgerechten Freizeitaktivitäten widmen.
Dazu nutzen sie gerne die sportliche Allzweck-Waffe aller Senioren: Das E-Bike.
Als ich heute Vormittag nichtsahnend aus meiner Haustür trat, ein fröhliches Liedchen vor mich hin trällernd, konnte ich noch nicht ahnen, was mir kurz nach dem Beginn meines Spazierganges widerfahren würde. Auf dem Weg zum Gemüse-Laden, den Spargel für das geplante Mittagessen schon fest im Auge, wurde ich durch einen schrillen weiblichen Warn-Schrei aus meinen Tagträumen geweckt und wich reaktionsschnell, wie ich nun einmal bin schnell zur Seite. Trotzdem spürte ich einen heftigen Schlag gegen meine Hüfte und fand mich im selben Moment auf meinem Hosenboden wieder, meine Designerjeans um einen unfreiwilligen Riss erweitert. Kurz benommen blickte ich in das Gesicht der Frau, die mir durch ihren Ruf eine Ganzkörper-Lähmung, eine Fuß-Amputation oder zumindest einen kurzen Aufenthalt im örtlichen Krankenhaus erspart hatte. Die Dame reichte mir ihre helfende Hand und wies mit ihren blutroten Finger-Nägeln gleichzeitig auf eine Gruppe von Senioren die raketengleich auf ihren E-Bikes ganz nahe an mir vorbeigeschossen waren und mich deshalb zu Sturz gebracht hatten. Mit ihren tarngrünen Übergangsjacken und den martialisch anmutenden Helmen auf ihren weißbehaaren Köpfen wirkten sie auf mich fast schon militärisch bedrohlich.
Mobile Untote die Angst und Schrecken verbreiten!
Auf die empörten Rufe meiner neugewonnenen Freundin und Lebensretterin gab es keine Reaktion vonseiten der radelnden Altmeister. Sie radelten weiter, als ob es kein Morgen gebe (was in Anbetracht des Alters der ambitionierten Sportler so abwegig gar nicht sein mag…). Meine boshafte Bemerkung, wahrscheinlich hätten die älteren Herrschaften alle ihre Hörgeräte ausgeschaltet, entlockte meiner Helferin ein leichtes Schmunzeln.
Während sich die Omas und Opas mit Überschall-Geschwindigkeit aus unserem Blickfeld geradelt hatten, ohne uns eines Blickes gewürdigt zu haben, hatte sich inzwischen eine kleine Gruppe von empörten Zeugen des Unfalls um mich geschart. Der eine klopfte mir den Staub von meinem Wintermantel, der andere bot mir einen Schluck aus einer flugs herbeigezauberten Wasserflasche an, der dritte sprach mir Mut zu und bot sich als Zeuge in einem eventuell noch auszufechtenden Prozess an, bei dem ich mit einem Schadenersatz in schwindelnden Höhen rechnen könne.
Es waren herzerwärmende Momente, die mir richtig guttaten.
Schnell kehrte das Thema aber wieder zur radelnden Gefahr zurück, die der gesamten Gesellschaft durch die Rentner auf E-Bikes droht. Seit der Erfindung des elektrischen superleicht nutzbaren Draht-Esels -so der allgemeine Tenor-sei man vor unsportlichen, unbeweglichen Menschen nicht mehr sicher. Einerseits sei es ja schön, dass ältere Menschen nunmehr glauben, würden sie alle seien die gleichzeitige Reinkarnation von Eddy Merckx, Bernard Hinault und dem gedopten Lance Armstrong. Schön, dass Sie jeden Nachmittag vor und nach der Kaffee- und Kuchen-Pause noch schnell eine Giro d’ Italia und Tour de France-Etappe in ihr Sport-Programm mit aufnehmen.
Aber was genug ist, ist genug…
So sprachen die Zeugen meines Unfalls.
Und ich? Ich hinkte zum nächsten Laden, um mir ein Paar neue Jeans zu kaufen…