Neulich war ich wieder einmal in Wien. Vor vielen Jahren habe ich eine Zeitlang in der wunderbaren Stadt gelebt und sie dann etwas aus den Augen verloren. Die Welt ist groß und es gibt viele Plätze die es wert sind besucht zu werden und das habe ich dann auch gemacht. Da war dann oft kein Platz mehr für Kurztrips ( sofern man sechs Stunden Autofahrt als solche bezeichnen kann…).
So weit, so banal, so gut.
Seit kurzem studiert aber eine meiner beiden Töchter dort und jetzt lenke ich mein Auto schon mal öfters wieder von Südtirol über Innsbruck, Salzburg und die unsäglich lange West-Autobahn. Aus Liebe zu meinem Kind natürlich, aber auch aus Leidenschaft für die europäische Zentrale der Depression deren psychisches (Un)-Gleichgewicht und die daraus resultierende Lebensart mir schon von jeher sehr zusagte. Ein weiterer Grund für die Wahl Wiens als Erholungsziel ist obendrein das reisefeindliche Corona-Virus, das den Urlaubsradius aktuell doch gewaltig einschränkt.
Und-wie wir leider erfahren sollten- mittlerweile auch kulturell für beunruhigende Veränderungen sorgt.
Lassen Sie mich davon erzählen:
Anfang des Monats war es also soweit. Vienna calls and we come!! Mit mir im Fahrzeug meine Frau und mein zweites Kind. Im seelischen Gepäck eine kurze aber sehr intensive Corona-Sommersaison in meinem Hotel und den Hunger auf etwas Großstadt-Flair und die geliebte Wiener Kulturlandschaft. Zu selbiger gehören natürlich diverse Besuche von Museen, Galerien Kabaretts und Theater. Bei einem Ausflug in die Bitterwelt eines Thomas Bernhard, in das Nerven-Labyrinth Siegmund Freuds und die eigenschaftslose Existenz Robert Musils darf dann selbstverständlich auch zumindest ein Gastspiel in einem berühmten Wiener Kaffeehaus nicht fehlen.
Womit wir endlich beim Thema wären.
Pädagogisch ambitionierte Eltern können nämlich Wien unmöglich verlassen ohne ihren Kindern diese geschichtsträchtigen Plätze gezeigt zu haben. Die Übellaunigkeit der Ober in ihrer legendären Berufskleidung, dem schwarzen Smoking, dem weißen Hemd und der schwarzen Fliege widerspiegelt zudem ein Stück weit die Wiener Befindlichkeit und bringt selbige dem irritierten Touristen oft auch näher als er es eigentlich wollte.
Nach dem Prinzip, dass Angriff oft die beste Verteidigung ist agierte dementsprechend auch der Kellner des Lokals unserer Wahl. Der etwas herablassende Ober wusste meinem gerade an die Familie gerichteten Vortrag über die berühmte Kaffeehaus-Kultur ein jähes Ende zu bereiten, indem er unseren Bestellungen unbarmherzig vorgriff. ,,Damit Sie’s gleich wissen: Morgen sperrn mer zu! Wegen Corona! Lockdown is! Is zwar a Schaaß, aber jetzt ham mer ka Schokolade mehr. Alles aus… Nur noch a paar Mehlspeisen sind da .Und mit dem Kaffee is es a nimmer weit her. Aber a Cola oder a Fanta können’s ham“ .
O tempora o mores! Ich glaubte mich verhört zu haben.
Softdrinks als Ersatz für ein Wiener Kulturgut. Keine heiße Schokolade mit Sahne, kein Mokka, kein großer Schwarzer, kein kleiner Brauner, keine Melange, kein Kapuziner, kein Fiaker, kein Einspänner und kein Zarenkaffee.
Stattdessen US-Pampe…
Was Türken, Schweden, Bayern, Franzosen, Preußen und Russen während diverser Belagerungen und Kriege nicht geschafft haben hat Corona hingekriegt. Es gibt nix Gescheides mehr zu trinken in Wien.
Wenn das kein Sittenverfall ist, dann weiß ich auch nicht!
Das Angebot des unsympathischen Zeitgenossen traf uns schwer und beendete den Besuch im Kaffeehaus schneller als geplant. ,,Wenn‘s ka Kaffee ham, dann gehen mer eben wieder ham“ zitierte ich gegenüber meiner Frau den Werbespruch einer berühmten österreichischen Kräuter-Brause. (Ich liebe Almdudler!)
Und so geschah es dann auch. Eine Entscheidung, die aber hoffentlich nur kurzfristig Bestand haben sollte. Zu Weihnachten beabsichtige ich nämlich wieder nach Wien zurückzukehren. So steht es zumindest im Familien-Reiseplan. Dann versuchen wir es erneut mit einem Kaffee-Haus-Besuch . In einem Lokal das diesen Namen dann möglicherweise wieder zu Recht trägt
1 Kommentar
von Renata Bösch
Guten Abend, ich erfreue mich wie im Frühling wieder über die köstlichen, nachdenklichen, mutmachenden, aufmunternden, witzigen, unterhaltsamen…. (unendliche Liste..) Beiträge.
Eine gute, gesunde und trotz allem helle Weihnachtszeit.